Verfallklauseln bzw. Ausschlussfristen

Verfallklauseln bzw. Ausschlussfristen sind im Arbeitsrecht weit verbreitet. Sie finden sich regelmäßig in Tarifverträgen, können aber auch einzelvertraglich vereinbart werden. Inhaltlich bestimmen solche Klauseln, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb regelmäßig kurz bemessener Fristen geltend gemacht werden. Sowohl in Tarifverträgen als auch in Arbeitsverträgen sind dabei sowohl einstufige wie auch zweistufige Verfallklauseln gebräuchlich. Bei einstufigen Ausschlussfristen genügt für die Wahrung des Anspruchs die schriftliche Geltendmachung gegenüber dem Vertragspartner innerhalb der vorgesehenen Frist. Danach muss nur noch die gesetzliche Verjährungsfrist, die drei Jahre beträgt, beachtet werden. Bei zweistufigen Ausschlussklauseln ist es hingegen so, dass zunächst innerhalb einer ersten Frist die schriftliche Anmeldung gegenüber dem Arbeitgeber erfolgen muss. Lehnt dieser den Anspruch ab, muss dann innerhalb einer weiteren sich anschließenden Frist die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs erfolgen, wenn dieser nicht verfallen soll.

Bis zum Jahr 2002 bestand an der Wirksamkeit solcher Klauseln selbst dann kein Zweifel, wenn diese Fristen von deutlich unter drei Monaten vorsahen. Seit der 2002 in Kraft getretenen Reform des Schuldrechts unterliegen Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen allerdings der Kontrolle nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Regelungen im BGB, da diese Normen im Gegensatz zum vorherigen Rechtszustand jetzt auch auf Arbeitsverträge anwendbar sind, wobei allerdings nach einer Ausnahmeregelung weiterhin die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu beachten sind.

Als Ergebnisse der neueren Rechtsprechung ist festzuhalten, dass

  • Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen weiterhin zulässig sind,
  • bei einer Dauer von weniger als drei Monaten unwirksam sind
  • unwirksam sind, wenn sie allein an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, ohne die Fälligkeit der Ansprüche zu berücksichtigen und
  • dies auch für vor dem 01.01.2002 abgeschlossene Arbeitsverträge gilt.
     

Einstufige einzelvertragliche Ausschlussfrist unter drei Monaten unwirksam

Eine einzelvertragliche Ausschlussfrist, die die schriftliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als drei Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Sie ist mit wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und schränkt wesentliche Rechte, die sich aus der Natur des Arbeitsvertrages ergeben, so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

Die Ausschlussklausel ist aufgrund der unangemessen kurzen Frist insgesamt unwirksam. Sie fällt bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen ersatzlos weg (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB).

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.09.2005 -5 AZR 52/05

 

Zweistufige einzelvertragliche Ausschlussfrist unter drei Monaten unwirksam - Arbeitsvertrag als Verbrauchervertrag

Der Arbeitnehmer ist bei Abschluss des Arbeitsvertrages Verbraucher im Sinn des § 13 BGB.

Ausschlussfristen können grundsätzlich auch in Formulararbeitsverträgen vereinbart werden. Eine Ausschlussfrist, die eine gerichtliche Geltendmachung verlangt, weicht im Sinn des § 307 Abs. 2 BGB von dem gesetzlichen Verjährungsrecht ab. Zwar lässt § 202 BGB eine Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren zu. Eine Klagefrist von 4 Wochen ist aber mit wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht vereinbar und führt deshalb entgegen den Geboten von Treu und Glauben zu einer unangemessenen Benachteiligung.

Bei der Bemessung der angemessenen Dauer einer Ausschlussfrist ergibt sich aus § 61 B Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz – Frist von 3 Monaten – ein geeigneter Maßstab.

In Formulararbeitsverträgen können zweistufige Ausschlussklauseln vereinbart werden. Die Mindestfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beträgt 3 Monate.

Ist die Ausschlussfrist zu kurz bemessen, benachteiligt sie den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam. Die Ausdehnung auf eine zulässige Dauer kommt nicht in Betracht, es gilt dann allein das gesetzliche Verjährungsrecht.

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts findet bei ausgehandelten Vertragsbedingungen eine Billigkeitskontrolle im Sinne einer allgemeinen, nicht auf die Besonderheiten des Falles bezogenen Angemessenheitsprüfung nach § 242 BGB nicht mehr statt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.05.2005 – 5 AZR 572/04 –

 

Ausschlussklausel unwirksam, wenn sie allein an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft

Eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Der klagende Arbeitnehmer war bei der Beklagten vom 1. Oktober 2003 bis zum 31. August 2004 beschäftigt. Es war ein Stundenlohn von 12,50 Euro brutto vereinbart. Ab 1. Mai 2004 kürzte die Beklagte ohne Ausspruch einer Änderungskündigung aus wirtschaftlichen Gründen das Arbeitsentgelt aller Arbeitnehmer um 10 %. Für die vom Kläger in der Zeit vom 1. Mai bis zum 31. August 2004 geleisteten 733,65 Arbeitsstunden erhielt der Kläger einen Stundenlohn von jeweils 11,25 Euro brutto.

§ 10 des von der Arbeitgeberin vorformulierten Arbeitsvertrags enthielt folgende Regelung:

 

"§ 10 Ausschlussklausel/Zeugnis

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen von beiden Vertragsteilen spätestens innerhalb eines Monats nach Beendigung schriftlich geltend gemacht werden. Andernfalls sind sie verwirkt." 

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 machte der Arbeitnehmer die Vergütungsdifferenz zwischen dem vereinbarten Stundenlohn von 12,50 Euro brutto und den gezahlten 11,25 Euro brutto in Höhe von insgesamt 917,06 Euro brutto geltend. Die Arbeitgeberin wies die Forderung mit Schreiben vom 2. November 2004 zurück.

Mit seiner am 26. November 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangte der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin die Zahlung der rückständigen Arbeitsvergütung verlangt. Er berief sich darauf, die Arbeitgeberin sei zur Lohnkürzung nicht berechtigt gewesen und die vereinbarte Ausschlussfrist sei unwirksam.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Vergütungsanspruch des Klägers nicht verfallen sei, da die vereinbarte Ausschlussfrist unwirksam sei. 

 

"In Formulararbeitsverträgen können Ausschlussfristen vereinbart werden (Senat 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 151, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3 a der Gründe; 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 - AP BGB § 310 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 1 der Gründe; BAG 2.  März 2004 – 1 AZR 271/03 - BAGE 109, 369, 381 f., zu VI 2 der Gründe) . Die §§ 305 ff. BGB enthalten keine Bestimmungen, die Ausschlussfristen generell für unwirksam erklären.

Die zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlussklausel unterliegt der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 309 BGB. Die Ausschlussfrist stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) dar; denn gesetzlich bleiben Ansprüche abgesehen von einer Verwirkung (§ 242 BGB) erhalten und sind nur im Rahmen des Verjährungsrechts geltend zu machen. Die Klausel entspricht auch nicht einer tariflichen Bestimmung oder anderen Norm i.S.d. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB, die auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar Anwendung finden kann (Senat 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 151, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3 b der Gründe).

Die vereinbarte Ausschlussfrist ist gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. In § 10 des Arbeitsvertrags wird für den Beginn der Ausschlussfrist allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt. Ob die Ansprüche zu diesem Zeitpunkt erkennbar und durchsetzbar sind, ist nach der vereinbarten Klausel unerheblich. Das ist mit dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundgedanken unvereinbar, wonach für den Beginn der Verjährungsfrist Voraussetzung ist, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Wertung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist in Ausschlussfristen dadurch Rechnung zu tragen, dass für den Fristbeginn die "Fälligkeit" der Ansprüche maßgebend ist (vgl. BAG 18. November 2004 – 6 AZR 651/03 - AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 36 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 175, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu 2 a dd der Gründe) . Der Begriff der Fälligkeit wird dabei von den Gerichten für Arbeitssachen unter Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte interessengerecht ausgelegt (vgl. Senat 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 - AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1, zu III 5 c der Gründe m.w.N.). Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne der Ausschlussfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann (Senat 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 152, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 5 d der Gründe). Fälligkeit in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn es dem Gläubiger praktisch unmöglich ist, den Anspruch mit seinem Entstehen geltend zu machen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtsbegründenden Tatsachen in der Sphäre des Schuldners liegen und der Gläubiger es nicht durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt (BAG 19. Februar 2004 – 6 AZR 664/02 - AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174, zu I 4 b bb der Gründe) . Eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Die Unwirksamkeit der Ausschlussklausel führt zu ihrem ersatzlosen Wegfall bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen (§ 306 Abs. 1 und 2 BGB). Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus. Sie setzt voraus, dass die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und das Unterbleiben der Ergänzung des Vertrags keine angemessene, den typischen Interessen der Vertragsparteien Rechnung tragende Lösung bietet (BAG 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 - AP BGB § 308 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe m.w.N) . Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel lässt den Regelungsplan der Parteien nicht als vervollständigungsbedürftig erscheinen. Bei Wegfall der Ausschlussfrist greifen mangels gesetzlicher oder richterrechtlicher Regelungen zu Ausschlussfristen allein die Verjährungsregeln der §§ 195 ff. BGB ein, die einen dem Regelungsgedanken der Ausschlussfristen vergleichbaren hinreichenden Interessenausgleich bieten. Besonderheiten bei Altverträgen kommen nicht zum Tragen, denn es handelt sich um einen nach dem 31. Dezember 2001 abgeschlossenen Arbeitsvertrag."

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1.3.2006, 5 AZR 511/05

 

Zweimonatige Ausschlussfrist auch in vor dem 01.01.2002 geschlossenen Verträgen unwirksam

Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte zweimonatige Ausschlussfrist für die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ist unangemessen kurz und gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

Der Arbeitsvertrag bleibt im Übrigen wirksam und richtet sich insoweit nach den gesetzlichen Verjährungsvorschriften (§ 306 BGB). Es gelten allein das gesetzliche Verjährungsrecht und die Grundsätze über die Verwirkung von Ansprüchen (§ 242 BGB).

Für vor dem 01.01.2002 abgeschlossene Arbeitsverträge (so genannte Altfälle) gilt nichts Anderes. Es kommen weder eine geltungserhaltende Reduktion der unwirksamen Ausschlussklausel noch eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.11.2007 - 5 AZR 992/06

 

Erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist kann auch dann wirksam sein, wenn die zweite Stufe unwirksam ist

Enthält ein Arbeitsvertrag eine zweistufige Ausschlussfrist, deren 2. Stufe zu kurz bemessen und daher unwirksam ist, kann die erste Stufe der Ausschlussfrist, die die schriftliche Geltendmachung der Ansprüche binnen einer Frist von 3 Monaten ab Fälligkeit vorsieht, durchaus wirksam sein. Die Unwirksamkeit der zweiten Stufe, die eine zu kurze Frist für die gerichtliche Geltendmachung vorsieht,  beeinträchtigt die Wirksamkeit der ersten Stufe dann nicht, wenn die Klausel teilbar ist und auch ohne die unwirksame Regelung weiterhin verständlich und sinnvoll bleibt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.03.2008

 

Wahrung der zweiten Stufe einer Ausschlussfrist durch die Kündigungsschutzklage

Ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers geregelt, dass von der Gegenseite abgelehnte Ansprüche innerhalb einer Frist von drei Monaten eingeklagt werden müssen, um deren Verfall zu hindern, genügt die Erhebung der Kündigungsschutzklage, um das Erlöschen der vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesses abhängigen Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers zu verhindern.

Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich entschieden, dass die Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht nur die erste Ausschlussfrist wahrt, sondern auch die zweite Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist wahrt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.03.2008 - 2 AZR 429/07

 

Insoweit ist aber manchmal Vorsicht geboten, wie die nachfolgende Entscheidung unterstreicht:

 

Keine Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist durch Klageerweiterung während einer Aussetzung des Verfahrens

Gelegentlich werden gerichtliche Verfahren ausgesetzt, z.B. um zunächst den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten. Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit kürzlich entschieden, dass während der Aussetzung eines Verfahrens eine wirksame Erweiterung der Klage nicht möglich ist und es als naheliegend bezeichnet, dass deswegen auch die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs im Sinne einer tariflichen Ausschlussfrist nicht durch Klageerweiterung während der Aussetzung des Verfahrens erfolgen kann.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.07.2008 - 5 AZR 518/07